Was wir hinter uns haben
The Thames Challenge 2015 - 4 Tage an der Themse
Letztes Jahr musste ich den Spreelauf aufgrund eines
Shint-Splints nach dem dritten Tag abbrechen, und ich wollte unbedingt noch
einen Mehrtages-Ultra entlang eines Flusses absolvieren. Der für August
angesetzte Neckarlauf wurde leider wegen Teilnehmermangels abgesagt, und so
wurde ich auf die Thames Challenge im gleichen Zeitraum in England aufmerksam,
von der Themsequelle bis zum Themsesperrwerk in London-Greenwich: 294km, oder genau genommen 184 Meilen, waren in 4 Tagen zu absolvieren.
Ich tat mich aber mit der Anmeldung doch etwas schwer, da die
Etappenlängen länger waren, als ich es für einen Mehrtagesultra gewohnt
war. Vor allem die zweite Etappe, der „Oxford-Ultra“, mit fast 106km,
gaben mir zu denken. Außerdem war ich auch nicht unbedingt erpicht darauf, zu
zelten. Der Veranstalter sah vor, bei den jeweiligen Etappenzielen den Läufern
Einzelzelte zur Verfügung zu stellen. Andererseits reizte mich aber auch, in
England zu laufen, dort ein wenig den Stil dieser Veranstaltungen zu
schnuppern, mal wieder etwas Anderes sehen, woanders zu laufen. Ich war mal vor
über 10 Jahren in London, hatte aber ansonsten noch nichts von der Insel
gesehen, und was bot sich denn da Besseres an als so ein Mehrtages-Ultra??? (Ja ne, is klar, Stefan, Anm. von Olli). Noch dazu stellte der Veranstalter professionelle Karten, Wegbeschreibungen und
GPX-Files zur Verfügung, so dass sich Zusatzkilometer durch Verlaufen wohl auch
in Grenzen halten dürften.
Also, kurz und gut: Hatte mich dann doch angemeldet!
Verbrachte zunächst zwei Tage in London, per Bahn direkt von Bremen aus
angereist, mit Sightseeing, dem Tower Bridge, dem Tower, dem Luftschutzbunker
mit Kommandozentrale von Winston Churchhill, dem Windsor Castle und ein paar Sehenswürdigkeiten
mehr. Sehr geniale Stadt, zwei Tage reichen da kaum, wollte es aber auch nicht
übertreiben und meine Beine etwas schonen.
Schon am Vortag des Starts reiste ich nach Swindon, dem zur Nähe Themsequelle nächstgrößeren Bahnhof, um am nächsten Morgen den ersten Zug nach
Kemble zu nehmen, einem Feld-Wald-Wiesen-Bahnhof wenige Kilometer von der
Quelle entfernt, wo sich die Teilnehmer treffen sollten. Und Steve Worallo, der
Veranstalter, und die Teilnehmer, waren dann auch schnell gefunden. Es sollten
sich doch ein gutes Dutzend auf den Weg von hier nach London machen. Einige
schnelle schienen dabei zu sein, einige nicht ganz so schnelle, so dass ich
wohl auch nicht letzter sein würde. Aber das konnte immer auch täuschen. Auch
ein Franzose war extra angereist.
Letzte Startvorbereitungen |
Steve verstaute das Gepäck der Läufer auf seinen Jeep, gab
noch eine Streckeneinführung, und dann ging es zum Start. Kurz vor 8 Uhr ging
es dann los (es waren ja alle angemeldeten Läufer da!), und zuerst eine kurze
Stippvisite zur eigentlichen Quelle, die trocken da lag und wohl nur im Winter
etwas sprudelte, und dann eben von dort aus Richtung London, fast immer an der
Themse entlang, den Markierungen des nationalen Themse-Wanderweges folgend.
Auf dem Weg zur Themsequelle |
OK, Wanderweg. Da hatte ich von den kontinentalen
Wanderwegen andere Vorstellungen. Vorwiegend ging es gar nicht über
Trampelpfade oder gar richtige Wege, sondern nur über Kuhweiden hinweg, durch
das von Kühen stark dezimierte Gras. Immer auch wieder durch „Kissing Gates“
(was ich vorher noch nie gehört hatte, aber auf Wikipedia hatte ich mich vorab
schon schlau gemacht, was das denn genau war).
Themsequelle, noch 294km bis nach London. |
Noch ist the Themse trocken... |
Wie erwartet zog sich das Teilnehmerfeld weit auseinander,
wir trabten entlang des zunächst noch trockenen Bachbetts der Themse und durch
beschauliche Dörfer mit Häusern aus Stein. Der Wanderweg war exzellent
markiert, und auch die GPX-Datei in meiner Garmin-Uhr leistete gute Dienste,
so dass ich nicht mühsam die Karten oder Wegbeschreibungen aus dem Rucksack
kramen musste.
Irgendwo auf dem Weg.... |
Erster Verpflegungsstopp: Steve hatte nicht zu viel
versprochen! Wasser, Cola, Müsliriegel, Energiegels, Weingummis (oder so
ähnlich) waren da! Dazu reichte Steve immer Sandwiches, mit Käse, Marmelade
oder Erdnussbutter. Und es gab noch ein paar andere Sachen (die ich jedoch
nicht kannte und auch vermied). Vermisst habe ich dann doch Salzstangen, und
Jean vermisste „Sparkling Water“. In Frankreich würde es wohl bei Ultraläufen
oft auch ein Mix aus (sprudelndem) Mineralwasser und Cola geben, aber das war
sowohl meinen britischen Mittläufern als auch mir wiederum suspekt. Sehr
interessant, diese kulturell verschiedenen Läufergewohnheiten. Und auch ein
Sandwich mit Salami, wovon ich träumte, wurde wohl auf der Insel von den
dortigen Läufern nicht nachgefragt.
Die Pubs und viele Häuser sind sehr schön herausgeputzt |
So ist das nun eher ein Fluss! |
Die Landschaft war eher unspektakulär, so langsam füllte
sich die Themse und nach und nach kamen dann auch die ersten Schleusen, die von
der staatlichen Umweltbehörde betrieben wurden und gut in Schuss waren. Und es
ging immer wieder durch kleine Dörfer mit Häusern und wehrhaften Kirchen aus
Stein. Sehr schön waren auch die langen, schmalen Themsekähne anzusehen, zum
Teil befanden sich ganze Blumengärten auf deren Dächern. Immer wieder fielen
mir kleine, bunkerähnliche Betonbauten entlang der Themse auf. Ich vermutete
einen ehemaligen militärischen Zweck, konnte mir aber keinen wirklichen Reim
darauf machen. Und immer wieder ging es auch durch (friedliche) Kuhherden, die
Schafe ergriffen vor den Läufern die Flucht, und auch immer wieder scheuchten
wir ganze Wildgänseschwärme auf, die am Ufer der Themse rasteten.
Bunkeranlage an der Themse |
Nach fast 45 Meilen oder gut 72km erreichte ich das
Ziel des ersten Tages, den Ferrman‘s Inn. Dort im Pub gab es dann auch in
gemütlicher Läuferrunde das Abendessen, wobei die Bedienung angesichts des
Ansturms von 20 Leuten den Dienst quittierte und die Chefin die Versorgung
selber übernehmen musste. Neugierig wie ich war, fragte ich nach diesen
Betonbauten, und mit einer gewissen Verlegenheit wurde mir dann erklärt, dass
es sich wohl um eine Verteidigungslinie entlang der Themse aus dem 2. Weltkrieg
für den Fall einer deutschen Invasion handelte.
Die Zelte hielten zum Glück dicht! |
Für den nächsten Tag war ergiebiger Regen angekündigt. Ich
sah mich schon Nachts im durchnässten Zelt sitzen und packte alles Empfindliche
sowie die technische Ausrüstung sicherheitshalber in Plastiktüten. Der Regen
träufelte gegen das Zeltdacht, und nachts wachte ich auch einmal wegen des
prasselnden Regens auf, aber innen blieb es schön trocken und zum Frühstück
blieb zunächst nur ein leichter Nieselregen übrig.
Themsekähne in Oxford |
Heute stand mit dem Oxford-Ultra die Längste Tagesetappe an,
knapp 106 Kilometer waren zu bewältigen. Deswegen starteten wir bereits um 7
Uhr. Der Nieselregen setzte sich fort, der Fluss wurde breiter, immer wieder die
nunmehr bekannten Kuhweiden, Wildgänse, Themsekähne und Schleusen. Nach etwa 15km erreichten wir die Universitätsstadt Oxford, aber viel von Stadt
und/oder Universität war nicht zu sehen. Hatte mir Oxford immer größer
vorgestellt. Ausreichend groß war aber
wieder der Verpflegungsstand unmittelbar nach Oxford, wo Steve und Co. trotz
des Wetters bei bester Laune waren.
"Good old English weather!!!" |
Eine der vielen, vielen Schleusen |
So langsam war es auch angenehmer zu laufen. Es gab oft
richtige Wege, vor allen um Oxford herum und das machte das Vorwärtskommen
einfacher. Und die Landschaft änderte sich ein wenig, die Hügel wurden höher
und rückten näher an den Fluss, so dass wir zur Etappenmitte, bei dem Örtchen
Goring, unerwartet doch einige Höhenmeter zu überwinden hatten. Aber dies wurde
dann mit dem nächsten Verpflegungsstand in Whitchurch-on-Thames kompensiert, wo
es sogar Kaffee gab!!! Tee ist ja auch nicht schlecht, aber…
Themsestimmung |
Mal ein richtiger Weg! |
Ein Schwarm Wildgänse |
Noch eine Schleuse mit Themsekahn |
Verpflegungspunkt mit exzellentem Kaffee! |
Weiter an der Themse entlang erreichte ich am Abend die
Stadt Reading, gegen Nachmittag hörte auch der Regen auf. Ultraläufe, die durch eine Stadt führten, bergen immer die Gefahr, sich gerade dort zu verlaufen. Das tat ich dann doch, da das GPS dann
doch oftmals nicht eindeutig war, ob diese oder die nächste Straße links
abzubiegen sei, oder ob man zum Nordufer der Themse wechseln oder dem Südufer
folgen sollte. Die Richtung stimmte aber grob immer, aber solche Orientierungsfragen
und Extra-Meter kosteten Zeit, und ich wurde doch langsam nervös, da noch 25
Kilometer zu laufen waren und die Sonne unterging.
Am letzten Verpflegungspunkt nach Reading gab es jedoch
aufbauende Worte und den Hinweis, dass der Läufer hinter mir aus dem Rennen
genommen wurde. Vor mir sei noch ein Läufer, etwa 20 Minuten Zeitabstand. Ich
konnte fast nur noch gehen, so begab ich mich nicht der Illusion hin, ihn noch
einholen zu können, aber es war gut zu wissen, dass noch jemand auf der Strecke
war und sie am Ziel nicht nur auf mich warten mussten.
Bei Sonning, dem nächsten Örtchen nach Reading, war es dann
endgültig dunkel. Aus den Pubs lärme Musik, und in den Themsekähnen brannten
beschaulich die Lichter. Ich wollte nur noch ankommen, konnte aber durch das GPS,
den Wegmarkierungen und meiner langsamen Geschwindigkeit größere „Verläufer“
vermeiden. Kurz nach Mitternacht klingelte das Telefon, das ich dann
rauskramen musste. Steve, der Organisator, wollte nur wissen, ob alles in
Ordnung sei und wie viel Kilometer ich noch vor mir hatte. Sehr sehr peinlich,
hatte so einen Anruf noch nie bekommen.
Andererseits war das auch, trotz so mancher Selbstzweifel,
ob man es wirklich nötig hatte, mitten in der Nacht in Südengland durch
Kuhweiden laufen zu müssen, ein einzigartiges Erlebnis. Die Licher der
Themsekähne, die beleuchteten Steinkirchen in den Dörfern, die nächtliche
Stimmung am Fluss, das erlebt man nun auch nicht alle Tage! War dann aber
trotzdem froh (und Steve mit mir!), gegen halb zwei dann im Ziel anzukommen.
Übernachtet wurde hier in einem Privathaus im Dörfchen
Hurley. Zwar gab es einen schönen Campingplatz, der als Läuferbasis dienen
sollte, aber da Steve keine Zusage bezüglich der Zeltplätze bekam, erkundigte
er sich im Ort nach Übernachtungsmöglichkeiten. Und dabei bot ihm ein nettes
Paar an, dass die Läufer in ihrem Garten zelten könnten, und auch gerne Küche und
Bad benutzen durften. Wow, genial, was es für nette Leute gibt!
Steve hatte mich schon nach meiner nächtlichen Ankunft berechtigterweise
gefragt, ob ich die dritte Tagesetappe, den Windsor Ultra, in Angriff nehmen
wolle. Ich wollte die Entscheidung in den noch verbleibenden Stunden überschlafen. Am nächsten Morgen stand es für mich fest, dass ich diese Etappe, mit auch
immerhin gut 70km, aussetzen würde. Ich bin doch an meine Grenzen gekommen,
es lief irgendwie nicht ganz so gut wie erwartet, und ich wollte am 4. Tag auf
jeden Fall den Richmond Ultra, durch London hindurch zum Themse-Sperrwerk,
laufen. Und das eben auch unverkrampft und entspannt. Wie ich beim Frühstück
erfuhr, waren bis auf 4 Läufer alle anderen aus der Themse Challenge
ausgestiegen, und auch der Läufer, den ich gestern Nacht noch vor mir wähnte,
lief gestern nicht im Ziel ein sondern ließ sich von unterwegs noch abholen.
Heute lasse ich mal nur andere laufen... Und manche können es richtig, richtig gut! |
Aber dennoch verbrachte ich einen genialen Tag zusammen mit
Steve, den Läufern per Auto folgend, über Gott und die Welt quatschend und die einzelnen Verpflegungspunkte
abklappernd. Wir waren durch den Verkehr doch ein wenig im Stress, rechtzeitig
an den jeweiligen Punkten bzw. schließlich am Ziel zu sein, um rechtzeitig den
ersten Läufer begrüßten zu dürfen. Pardon! Die erste Läuferin!!! Mit großem zeitlichem
Abstand von über einer Stunde zu dem Zweitplatzierten kam die Tagesläuferin mit
der Startnummer 319 ins Ziel. Sie lief die 70km flüssig durch, und es
war wahrhaft eine Freude, sie laufen zu sehen. Es hieß auch, sie sei Mitglied
im „Team GB“. Das muss ich nochmal genauer recherchieren. OK, sie ist in der Nationalmannschaft Großbritanniens für die 100km-Weltmeisterschaft am 12.09.15 in Winschoten/NL. Weitere Infos unter Holly Rush (kein Künstlername!!!). Obwohl sie einen neuen Streckenrekord aufstellte, war das doch für sie nur ein "Training Run". Aber trotz der schnellen Zeit und der offensichtlichen Begabung eine sehr umgängliche Frau, mit der Steve und ich nach dem Zeileinlauf noch ein sehr interessantes Gespräch hatten.
Abendstimmung an der Themse bei Kingston-upon-Thames |
Übernachtet wurde auf dem Gelände eines Ruderclubs in
Kingston-upon-Thames, das direkt an der Themse lag. Und so schauten wir, die
die Läufer nach und nach eintrudelten, genossen das Treiben an und auf der
Themse, und ich konnte ausgiebig meine Beine ausstrecken.
Hier kocht der Chef (Steve) persönlich! |
Am nächsten Tag noch der Richmond Ultra, lächerliche 46
Kilometer bis zum Themsesperrwerk in London-Greenwich. Steve ließ mich bereits
vor dem Hauptfeld eine Stunde früher starten, was mir sehr recht war, denn
schließlich waren heute noch eine ganze Reihe frischer Tagesetappenläufer am
Start.
So langsam erreichen wir London! |
Ich genoss die frühmorgendliche Atmosphäre an der Themse, und
die Park- und Asphaltwege. Nach den Kuhweiden der ersten beiden Tage waren die
doch wesentlich einfacher zu laufen. Und genoss auch, dass es nun immer
städtischer wurde und wie sich der Charakter der Strecke änderte. Waren
zunächst ausgedehnte Parkanlagen dominierend, war der Uferbereich nach rund 20
Kilometern durchgehend bebaut. Wir tangierten Chelsea, und schon bald waren
Parlament, Big Ben und London Eye in Sichtweite! Dort war dann aufgrund der
Touristenmassen für ein kurzes Stück das Laufen fast unmöglich, aber dann ging
es auch wieder, mit Aussichten auf die an der Themse gelegenen
Sehenswürdigkeiten. Einen Bogen mussten wir dann auch um den Tower of London
laufen, und nach der Tower Bridge kam auch der zweite und letzte Verpflegungspunkt
der Etappe! Wieder mit Kaffee!!!
Das Parlamentsgebäude |
Durch London durch... |
Die Tower Bridge |
Die Cutty Sark in Greenwich |
Ich freute mich, die Docklands kamen immer näher, dann der
Fußgängertunnel nach Greenwich rüber, an der Cutty Sark vorbei, auch wieder
Touristenmassen, und dann noch die letzten etwas unschönen Kilometer kämpfend,
bis endlich das Themsesperrwerk erreicht war, wo ich schon freudig erwartet
wurde ! Hurra, geschafft! Gemeinsam mit einigen anderen Läufern ließen wir dann
den Lauf entlang der Themse im View Café am Sperrwerk ausklingen, während Steve
und Angehörige die letzten Läufer im Ziel erwarteten.
Nicht ganz gschafft, aber tolle Tage an der Themse gehabt!!! |
OK, den Thames Challenge nicht ganz geschafft, aber trotzdem
4 grandiose Lauftage in England voller neuer Eindrücke gehabt! Und immerhin 3
Ultras gefinisht!
Stefan (Gazelle)